Das ist inzwischen Alltag: Etwas Neues soll eingeführt werden, Menschen sollen auf etwas Liebgewordenes verzichten – etwa ihr Papier. Oft geht es um eine technologische Verbesserung. Aber diese ersetzt nicht mehr nur einfach das eine durch das andere wie der Computer die Schreibmaschine. Es tangiert grundsätzliche Strukturen. Was früher funktional war, ist jetzt dysfunktional. Das System krankt, wird starr, unbeweglich.
Im Podcast mit dem Kybernetiker und Mathematiker Conny Dethloff sprache ich über die Phänomene organsationaler Pathologien. Dahinter liegt ein Verständnis von Organisation als lebendiger Organismus, indem alles mit allem zusammenspielt. Aber auch als Hierarchie im Sinne von Über- und Unterordnung von Teilen. Diese Ordnung kann sich dysfunktional zeigen, wenn äußere Umstände (Umwelt) auf sie einwirkt und kein lebendiges Zusammenspiel mehr möglich ist.
Ergänzend zum Podcast gebe ich hier eine Übersicht mit Beispielen:
Strukturelle Pathologien
Diese betreffen das Skelett der Organisation.
1. Keine fraktale Skalierung
Dafür müssen wir das „Fraktal“ verstehen. Es bedeutet etwas ist sich selbst ähnlich. In Organisationen brauchen wir ähnliche Grundstrukturen. Beispiel für fehlendes Skalierung: Ein Unternehmen hat eine zu breite oder zu schmale Produktpalette, wodurch operative Einheiten übermäßig viele oder wenige Produkte abdecken müssen. Dies führt zu einer Überlastung oder unzureichenden Auslastung der Ressourcen.
2. Fehlende Skalierungsebenen
Beispiel: Eine Firma hat nur zwei Hierarchieebenen – die Geschäftsführung und die operativen Mitarbeiter. Diese einfache Struktur kann dazu führen, dass die Kommunikation und Umsetzung der Strategie nicht in die Breite getragen kann. Ob Mittelmanagement hier jetzt die Lösung ist, ist eine andere Frage – es ist aber eine typische, wenn auch nicht notwendige Antwort.
Funktionale Pathologien
Diese betreffen, wenn man so will, die Organe.
1. Unklare Identität
Beispiel: Ein Unternehmen hat keine klare Vorstellung davon, ob es sich auf technologischen Fortschritt oder auf Dienstleistungen konzentrieren soll, was zu widersprüchlichen Geschäftspraktiken führt. Eine Verwaltung weiß nicht, ob es sich am Bürger oder an den Prozessen ausrichtet.
2. Organisationale Spaltung
Ursprünglich ist hier von Schizophrenie die Rede. Denn Begriff vermeide ich. Es geht darum, dass nicht so gehandelt wird wie geredet.
Beispiel: Das Management propagiert flache Hierarchien und Teamarbeit, während die tatsächliche Struktur stark hierarchisch ist und Einzelentscheidungen bevorzugt.
3. Gestörte Identität
Beispiel: Ein Unternehmen, das ursprünglich als Maschinenbauunternehmen bekannt war, versucht sich im Bereich der Softwareentwicklung, ohne eine klare Neupositionierung am Markt zu kommunizieren.
4. Ausgeblendete Zukunft
Beispiel: Ein Unternehmen vernachlässigt die Entwicklung neuer Technologien oder Märkte, was seine langfristige Wettbewerbsfähigkeit gefährdet. Im Podcast nehme ich als Beispiel den SUP-Stand mit persönlicher Bedienung im Vergleich zur automatisierten Ausleihe.
5. Gestörter Abgleich zwischen Zukunft und Vergangenheit
Beispiel: Eine Organisation hält an veralteten Technologien und Praktiken fest, obwohl der Markt sich in eine andere Richtung entwickelt hat, was zu einer Diskrepanz zwischen ihrer Vergangenheit und ihren zukünftigen Bedürfnissen führt. So wird immer noch mit klassischen Projektmanagementmethoden gearbeitet, obwohl agile überlegen wären.
6. Autoritäres Management
Beispiel: Die Führung eines Unternehmens trifft alle wichtigen Entscheidungen allein, ohne Input von Mitarbeitern oder Stakeholdern, was zu Frustration und mangelnder Innovation führt. Ja, Herr Klein, SAP, das passt hier wohl.
7. Gespaltenes Management
Dies beobachte ich oft in Konzernen, wo sehr viele Schulungen an der Kommunikation „gearbeitet“ haben, die Führungskräfte aber im Handeln ganz andere Botschaften senden. Das heißt der gesamte kulturelle Code ist zweideutig.
Beispiel: Eine Geschäftsleitung, die einerseits Eigenverantwortung und Initiative fördert, gleichzeitig aber mikromanagiert und alle Prozesse detailliert überwacht.
8. Schwaches Management
Im Podcast sagen wir, dass es hier natürlich Überschneidungen gibt: Ein gespaltenes Management ist immer auch schwach. Aber Schwäche kann auch z.B. durch „laissez faire“ entstehen. Eine Führung, die keine klaren Richtlinien oder Ziele vorgibt, wodurch es den Mitarbeitern an Orientierung und Motivation fehlt.
9. Auditierung im Business Theater
Führungskräfte verbringen mehr Zeit damit, interne Audits und Kontrollen zu inszenieren, als tatsächlich operative Probleme zu lösen.
10. Anarchie
Fehlen klarer Strukturen und Regeln, sodass Mitarbeiter ihre eigenen Wege gehen, was zu Chaos und Ineffizienz führt.
11. Autoritäre Bürokratie
Ein Unternehmen, das durch starre Vorschriften und eine Vielzahl an Genehmigungsprozessen gelähmt ist, wodurch Entscheidungen und Innovationen stark verlangsamt werden.
12. Autopietisches Biest
Eine Organisation oder organisationale, die sich auf Selbstschutz und -erhaltung konzentriert. Im Podcast genannte Beispiele: Akademien in der Organisation, aber auch agile Einheiten.
13. Organisierte Verantwortungslosigkeit
Zuständigkeiten sind so verteilt, dass niemand für Fehlentscheidungen oder Misserfolge verantwortlich gemacht werden kann. Das hat sehr viel auch mit verleugneter Macht zu tun.
Kanalbezogene Pathologien
Diese beziehen sich sozusagen auf das zentrale Nervensystem der Organisation.
14. Nicht leistungsfähige Kanäle und Systeme
Ein Unternehmen nutzt veraltete IT-Systeme und Kommunikationskanäle, die den modernen Anforderungen nicht gerecht werden, was zu ineffizienten Prozessen führt. Stichwort: Fax oder Papierablage. Aber auch: Whatsapp-Angebot, ohne damit umgehen zu können.
15. Fehlender algedonischer Kanal
Ein Unternehmen hat keine Mechanismen, um effektiv auf negative Rückmeldungen (Schmerz) oder positive Möglichkeiten (Vergnügen) zu reagieren, was zu einer unzureichenden Anpassung an Marktanforderungen führt. Man merkt also nicht, wenn etwas schiefläuft genausowenig wie man Erfolge mitbekommt. Erlebe ich z.B. da, wo Mitarbeitern die schlechten Marktzahlen vorenthalten und stattdessen Ponyhof vorgeturnt wird. Möglicherweise ist hier SAP ein Beispiel, deren aktuelle Zahlen besser aussehen als die Zukunft.
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Foto: Istock – piovesempre
Der Beitrag Wenn Organisationen nicht mehr funktionieren erschien zuerst auf Svenja Hofert.