Jeder will dich. Auf den Listen der Zukunftskompetenzen stehst du stets weit oben. Doch wenn du dann deinen großen Auftritt hast, schweigt das Publikum – oder buht dich aus.
Was wäre, wenn das, was du sagst, wirklich wahr wäre?
Als kritisches Denken erkennst du sofort, wo etwas unlogisch ist, wackelig oder gar brüchig in der Argumentation. Du siehst Widersprüche, Ungereimtheiten, Fadenscheinigkeit.
Und nimmst dabei keine Rücksicht auf Zugehörigkeiten, ignorierst Statusunterschiede und stellst stets die Sache in den Mittelpunkt.
Neulich habe ich dich genutzt, um offensiv gewünschtes Feedback zu einem Konzept zu geben. Doch offenbar stellte das zu viel Grundlegendes in Frage. Das ist eben dein Charakter:
Du drängst dich in Personen, Situationen, Kontexte – und wirfst Fragen auf, wo die Antwort doch so sicher schien.
Du entthronst den König, der sich nur durch deine Abwehr behaupten kann.
Du als kritisches Denken stehst nie allein auf der Bühne, sondern agierst immer in Kontexten, Rollen, sozialen Gruppen und hast dein individuelles Drama. Man hält dich gern draußen, denn du widersprichst der Norm.
Deshalb brauchst du ein Kunststück. Wenn es dir gelingt, dort aktiv zu werden, wo deine Kritik selbst die Norm bildet…. dann wirst du gehört!
Doch wehe du sprengst diesen Rahmen: Als Wissenschaftler bekommst du dann keine Forschungsgelder mehr, als Praktiker keine Aufträge… Und als Politiker wirst du von deiner Partei geschasst und vom Bürger nicht wiedergewählt – denn dass du richtig lagst, zeigt sich oft erst eine Generation oder Legislaturperiode später.
Als kritisches Denken gehst du den Dingen auf den Grund. Du stellst die Bindung zugunsten der Sache zurück. Deshalb scheint es manchmal, als seist du der Gegenpart zur Empathie. Aber das kann nur jemand denken, der sich von dir verletzen lässt und diesen Unterschied nicht sehen will.
Denn in Wahrheit denkst du schon längst weiter – und weißt, dass deine Stunde später schlägt. Dann, wenn immer mehr erkennen, dass du richtig lagst. Bevor du dann Mainstream wirst, haust du aber ab.
Der Beitrag Liebeserklärung an das kritische Denken erschien zuerst auf Svenja Hofert.