Zwischentöne sind Nuancen, feine Abstufungen zwischen klar erkennbaren Positionen oder Aussagen. Zwischentöne verbinden. Leider gibt es sie immer seltener. Vielleicht weil Menschen Angst vor ihnen haben. Das ist Thema meines aktuellen Newsletters. Hier eine gekürzte Fassung.
Als Friedrich Merz diese Woche weinte, war das für mich ein wohltuender Zwischenton. Dieses Weinen war echt, ehrlich. Wer weint, der ist auch berührt. Trauer zeigt den Weg zum Spüren, der viel zu vielen versperrt ist. Doch schon wird diese ehrliche Berührtheit mit der eigenen Sicht auf eine Person verbunden: Dieser Merz, den (fast) keiner mag. Telepolis erkannte den weinenden Merz als Inszenierung. Dass es nicht grundsätzlich ums Weinen in einer Führungsposition geht, nicht um Weinen können als Eigenschaft einer bestimmten Person – diese Sicht würde zuviel Differenzierung erfordern.
Unser Blick ist gern aufs Ganze gerichtet. Auf die Person oder die Situation – nicht auf den Fluss, nicht auf das Fluide, auf die Differenzierung.
Ähnlich ist es mit Charly Kirk. Jedes „aber“ in dem Mord macht weitere mögliche, weil es relativiert, was nicht zu relativieren ist. Ja, aber… und schon werden Missetaten ausfindig gemacht. Der Fall zeigt, wie herausfordernd es ist, zwischen Person und ihrem Verhalten, zwischen Situation und ihrer Wahrnehmung zu unterscheiden.
Tipps für alle, die Zwischentöne fördern wollen:
- Worauf ist die Aufmerksamkeit gerichtet? Worauf reagieren die Menschen und worauf nicht? Schiebe den Fokus auf das Nichtgesehene, Nichtgehörte, Nichtgefühlte.
- Öfter mal den Ton ausstellen: Welche Emotion wabert über den Menschen oder stellt sich zwischen sie? Wie kann ich mich selbst von der Umklammerung, der Projektion lösen (Atmen).
- Was sind die Pole, die sich zeigen und auseinanderdriften? Zwischen ihnen liegt immer auch eine Anziehung. Welche ist das? So wie Trauer und Freude sich unterscheiden und doch eins sein können.
- Welche zeitlichen Perspektiven schaffen Raum für differenzierte Betrachtung? Wie würde man aus der Zukunft reisend auf etwas blicken?
- Welche Angst liegt hinter dem Verhalten einer extremen Position? Sehr oft hat es mit Kontroll- und Selbstwertverlust zu tun. Mit Identität: Was wäre ich ohne diese Position? In den Antworten liegt auch eine Lösung.
- Lerne Zwischentöne zu lesen und zu hören. Ihr könnt in Social Media anfangen: Auf welchen Aspekt eines Posts oder Kommentar reagiere ich emotional – welchen blende ich aus?
- Und die wichtigste Frage ist vielleicht die: Kann ich mich selbst auch für das Dazwischen annehmen, akzeptieren – und überhaupt als Ich erkennen?
Der Beitrag Mut zu Zwischentönen! erschien zuerst auf Svenja Hofert.